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Über das unausweichliche Verschwinden von Papier
(Plakatkunst und -kultur) im öffentlichen Raum

In den meisten Kommunen und Gemeinden sind aufgehängte Plakate oft ein Zankapfel, egal ob sie für Parteien oder Konzerte werben.

In der Universitätsstadt Marburg hat das die Stadtverordnetenversammlung in ihrer Sitzung am 24. September 1993 mit einer "Gefahrenabwehrverordnung über das unbefugte Plakatieren, Beschriften, Bemalen und Besprühen von öffentlichen Flächen an öffentlichen Straßen sowie in öffentlichen Anlagen" (Marburger Plakatordnung) geregelt.

Marburg hat also eine so genannte Plakatordnung. Und die liest sich im sperrigen Paragraphen-Deutsch als "Verbots"-Liste, bis man zu dem Wort "Sondernutzungserlaubnis" vorstößt. Aah, es gibt also Ausnahmen?! Ja, den Antrag dazu kann man "Downloaden". Das tut man auch als pfiffiger Kulturanbieter, denn es gilt ca. 200 Veranstaltungen im Jahr ans interessierte Publikum zu bringen (auch 1993 schon…).

In den guten alten Zeiten davor, ich war damals Praktikantin beim Kulturamt, zogen wir mit unseren Plakaten vom Pantomimen-Festival und Ramba-Zamba-Kinderfestival von Geschäft zu Geschäft und haben höflich um Aushang nachgefragt. Zwischendurch sollten wir mal gucken, wo noch so Platz ist. Und es war Platz: in vielen Kneipen und Geschäften, die gern die Aushänge annahmen, des weiteren an Bushaltestellen, an Telefonzellen, an Straßenlaternen, Bauzäunen und an Türen, Toren und Mauern von öffentlichen Gebäuden… Aber das Kulturamt war da schon nicht der einzige Kulturanbieter… Es massierten sich - wohl damals schon - Beschwerden über die "Sauberkeit" in der Stadt.
Dann kam ja die Plakat-Ordnung und die Sondernutzungserlaubnis. Allerdings - das sind dann Zahlen nach Einführung des Euro ab 2001: Die Kosten für die Plakatierung eines A1 Plakates belaufen sich auf 0,90 € zzgl. MwSt. und für ein A0-Plakat auf 1,80 € zzgl. MwSt. pro Tag und Anschlagstelle… Bei 200 Veranstaltungen im Jahr à 60-100 unterzubringenden Plakaten… also mal 365 Tagen… der pfiffige Kulturanbieter verhandelt den Preis, schließt einen Jahresvertrag ab, zahlt zähneknirschend und kämpft mit dem Kulturamt und 59 weiteren Vereinen, Initiativen und Institutionen (zusammengeschlossen im Marburger Kulturforum) für die Bereitstellung von "kostenlosen Anschlagflächen". 2004: Es ist soweit: Die Schaukästen in der Unterführung am Rudolphsplatz werden den Einrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt und 4 (!) weitere Schaukästen über die Stadt verteilt kommen dazu. 2008 stehen davon allerdings nur noch zwei. Aber: zudem kann jeder Verein die Sondernutzungserlaubnis für zwei Wochen mit immerhin 17 Stellen kostenlos erhalten: 4 (!) x im Jahr. Der pfiffige Kulturanbieter mit 200 Veranstaltungen freut sich: nur noch 196 Veranstaltung à 60-100 Plakate, die Geschäfte und Kneipen nehmen inzwischen, trotz weiterhin höflichen Nachfragens, nicht mehr so gern die Plakate… Da könnte ja jeder wollen… und selbst will man auch werben.., und das einheitliche Erscheinungsbild der Filialen und die kleine Schaufensterfläche…

Das beflyern der Mensa wurde zwischenzeitlich auch geregelt: kann ja nicht sein, dass Mensa-Mitarbeiter Tonnen von Papier täglich in den Müll entsorgen müssen: erst wurde kommerzielle Werbung verboten, dann aber auch Werbung für Kultur- und Infoveranstaltungen, es sei denn, man teilt aus und sammelt nach dem Mittagsmahl der Studies wieder ein. Jetzt stehen die Kultur- und Info-Veranstaltungsanbieter halt siebenreihig vor der Mensa und verteilen ihre Infos bei Wind und Wetter.
Das "wilde" Plakatieren - wie es fortan genannt wird - nahm zu, aber irgendwie geordneter (man nahm Rücksicht aufeinander: keine aktuellen Plakate andere Marburger Initiativen sollten überklebt werden; Der pfiffige Kulturanbieter "pflegte" z.B. den privaten Bauzaun am ehemaligen Luisabad und mahnte zur Ordnung - alles abgesprochen mit dem privaten Besitzer - und es schien alles soweit in Ordnung, aber dann massierten sich die "wilden Stellen" und die Beschwerden über die "Sauberkeit der Stadt"…
Die "geduldeten, wilden" Stellen wurden unter Androhung und Einforderung von Bußgeld abgeschafft, aber auch "legale" Stellen versprochen, die unter der Ordnungsaufsicht und Betreuung einer entsprechenden Firma… Der pfiffige Kulturanbieter beginnt zu rechnen wie das Marketingbudget vielleicht… und wartet auf Nennung von "legalen" Stellen und jener Firma, die…
Der Blick in ein Protokoll zum 2. Workshop "Campus-Firmanei" bringt dann noch von Universitätsseite weitere Überlegungen zum Thema hervor: "…Schaut man sich das GWS und die UB an, so stellt man fest, dass diese Flächen "erobert" werden: Wände in und an den Gebäuden und auch die Unterführung zur Mensa werden "wild" beklebt, was leider zu einem sehr schlechten Erscheinungsbild der Gebäude beiträgt…" Dabei hat erst letztes Jahr ein Studi dem Plakatierer des pfiffigen Kulturanbieters erklärt: "Hier ist der Unitunnel, hier informieren wir uns, was geht." Aber was ist schon eine Stimme gegen viele Beschwerden…
Und Ende 2009 ist es dann soweit: Der Uni-Tunnel wird gesäubert und unter Androhung von "Bußgeld"…Die eine Stimme sagt, "Das sieht hier jetzt aus wie in jeder x-beliebigen U-Bahnhof-Unterführung. Parteipolitiker bekommen zu ihren Wahlen doch auch "Sonderstellen" auf extra Plakatwänden. - Lieber gute Konzerte als Westerwelle…", aber das ist ja nur eine Stimme.

In Wien z.B. gibt es viele Stimmen und eine Petition für freie Plakatierung. Da wird schon gekämpft für die Wiener Kunst- und Kulturszene und gegen eine Verarmung und Vereinheitlichung der Wiener Kulturlandschaft. Denn die dort angebotenen "legalen" Plakatflächen sind zwar eine attraktive Lösung für jene Veranstalter, die sich diese Werbeform leisten können. In der Praxis sind die Flächen für viele schlicht unerschwinglich. Vor allem junge KünstlerInnen, nicht subventionierte und nicht kommerziell orientierte Kulturschaffende haben keine Möglichkeit mehr, für ihre Arbeit zu werben. "Der neue Verschönerungsplan führt also dazu, dass in Wien das Geld allein bestimmt, wer in der Kunst- und Kulturszene sichtbar sein darf und fördert dadurch indirekt den Mainstream, während die weniger etablierten KünstlerInnen marginalisiert und aus dem Stadtbild verdrängt werden."
Unterschreiben kann man dort:
- Für einen fairen Zugang zum öffentlichen Raum für alle
- Schaffung von "freien " Plakatflächen in ausreichender Zahl, um Kulturinitiativen Konditionen bieten zu können, die für kleine Marketingbudgets leistbar und praktikabel sind.

- FREIE PLAKATIERUNG IST AUTONOM!
- FREIE PLAKATIERUNG IST KOSTENGÜNSTIG!
- FREIE PLAKATIERUNG SPRICHT JUNGE, URBANE ZIELGRUPPEN UNMITTELBAR AN!
- FREIE PLAKATIERUNG IST ULTIMATIV NAH AM KUNDEN!
- FREIE PLAKATIERUNG FÖRDERT DEN FREIEN WETTBEWERB!
- Freie Kunst braucht freie Werbung!

Der pfiffige, freie Kulturanbieter aus Marburg hätte es nicht besser formulieren können!
Alldieweil wird halt getwittert oder sonstige webbasierte Info ausgestrahlt. Sauber ist es dann allemal.

Sabine Welter