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Eine weitere Reformgeschichte aus Hessen


Neulich in einem Reginonalexpress zwischen Frankfurt und Marburg. Auf dem Nachbarplatz liegt eine verlassene Bild-Zeitung. Und weil tags drauf ja das große Meisterschaftsfinale zwischen den doofen Bayern und den tollen Bremern steigt, will dann auch die linksliberal sozialisierte Existenz mal wissen, was die Bild so schreibt. Dazu kommt es dann aber doch nicht, denn zwei Seiten weiter findet ein Satz mein weit größeres Interesse: "Nach der Programmreform im Hörfunk schwappt die Weichspülwelle des hr nun auch auf Fernsehen über...".

Verkehrte Welt also. Die Bild-Zeitung, einst und manchmal noch jetzt Kampfblatt eines populistischen Biederbürgersinns, beklagt den Ist-Zustand des einstigen Rotfunks vom Frankfurter Dornbusch. Und hat damit und ausnahmsweise einmal völlig recht. Beim Hessischen Rundfunk bewegt sich in diesen Tagen und Wochen so viel in so falsche Richtungen, dass man kaum mehr hinter her kommt, sämtliche Hiobsbotschaften in ihrer Gänze zu registrieren.

Da wurde zu Beginn des Jahres das zumindest gelegentlich engagierte Jugendprogramm hr xxl durch die den jugendlichen Hörer, die jugendliche Hörerin entmündigende Dudelwelle you fm ersetzt. Da flogen Klassiker der reflexiven Gesellschaftsanalyse, wie das einst von Jürgen Habermas konzipierte Abendstudio ersatzlos aus dem hr2-Programm.

Klaus Walters "Der Ball ist rund", musikalische Sozialisationsinstanz von vielen KFZ-Besuchern und mithin einigen Team-Mitgliedern, wurde vom Montag auf den Mittwoch, vor allem aber vom Popradio hr3 ins Kulturprogramm hr2 verschoben. Leidiger Nebeneffekt: Da hr2 im Gegensatz zu hr3 über keinen Internetstream verfügt, bleibt Walters engagierter Blick auf die Nischen- und Marktplätze der Popkultur für Hörer und Hörerinnen außerhalb des Sendegebiets unzugänglich. Wie sehr die Sendung aber gerade auf diesem digitalen Wege rezipiert wurde, verdeutlichen nicht zuletzt die Platzierungen in den Jahrescharts der Musikzeitschrift "Spex": "Der Ball ist rund" ist dort beinahe auf den Titel "beste Radioshow" abonniert.

Wahrscheinlich zum 1. August diesen Jahres stehen nun auch zwei Sendungen aus dem ersten Hörfunkprogramm des Hessischen Rundfunks zur Disposition. "Der Tag", bisher ein brillant recherchierter Beitrag zum politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehen, wird zumindest in der gekannten Form keine Zukunft haben. Zwar bleibt der Sendename auch künftig bestehen, aus der monothematischen Wortsendung wird aber nach dem Willen der Frankfurter Programmplaner bestenfalls ein buntes Potpourri aus Service-, News- und Hintergrundthemen.
Noch härter trifft es die Sendung, die vor gar nicht so langer Zeit im Kulturladen Geburtstag feiern konnte: Für "Schwarz-Weiß – Musik in Farbe" ist im neuen, nivellierten Programmschema von hr1 kein Sendeplatz mehr vorgesehen. Und auch im Kulturfunk wird der kompetente Musikjournalismus der "Schwarz-Weiß" -Redaktion wohl keine neue Heim- stadt finden – hr2 könnte gar nicht so viele Programmplätze frei schaufeln, um allen aus den übrigen Wellen verbannten Nischenformaten Asyl bieten zu können. In hr3 zum Beispiel bleibt nurmehr "Volkers Kramladen" als einzige wöchentliche Spezialsendung erhalten. Der Kramladen heißt nun allerdings dem Nachnamen seines Moderators gemäß schlicht "Rebell" – und das sicherlich nicht, weil's so fürchterlich subversiv klingt.

Grundgedanke jener nachhaltigen Programmverschiebungen sind indes gar nicht mal die vermeintlich schlechten Quoten, die sich für zumindest "Schwarz-Weiß" und "Der Tag" nicht attestieren lassen. Vielmehr hat sich der Hessische Rundfunk unter der Ägide des neuen Intendanten Dr. Helmut Reitze konsequent vom Anspruch eines Einschaltradios verabschiedet. Radio, so meint der vom ZDF aus Mainz zum hr an den Main gekommene Intendant, sei - umgekehrt - nurmehr kontinuierliche Hintergrundbeschallung.

Und so gilt als oberste Prämisse, den einmal für eine Welle gewonnenen Hörer und die einmal für eine Welle gewonnene Hörerin, mit einem möglichst gleichförmigen Programm einzulullen. Was wiederum wunderbar zur gegenwärtig diskutierten Gebührendebatte passt: Mehr Rundfunkgebühren für ein Programm, das sich von den Privaten immer weniger unterscheidet.

Dass es längeren Wortstrecken, die eventuell gar Raum für Hintergründiges lassen würden, dabei als erstes an den Kragen geht, ist nur eine zwangsläufige Folgeerscheinung dieser einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt unwürdigen Dialektik. Einer Dialektik, der Hörfunkdirektor Dr. Heinz Sommer zudem noch unwürdigere Worte verleit: "Wir wollen jetzt endlich Radio machen in hr1 und nicht mehr das Vorlesungsverzeichnis."

Inzwischen allerdings hat sich eine Initiative engagierter Hörer und Hörerinnen formiert, die sich, um die Worte Sommers aufzugreifen, nicht kampflos vom lieb gewonnenen "Vorlesungsverzeichnis" verabschieden wollen. Mehr als 2700 Menschen haben bereits auf den beiden Internetseiten www.rettet-der-tag.de und www.rettet-schwarz-weiss.de unterschrieben, darunter der Hörspiel- und Theatermacher Heiner Goebbels, die Musikerin Barbara Morgenstern oder Hendrik Nachtsheim, Hälfte des Comedy-Duos Badesalz.

Gert Scobel, Moderator der werktäglichen "Kulturzeit" (3sat) und ehedem selbst Volontär und später Redakteur beim Hessischen Rundfunk hat der gegenwärtigen Entwicklung in oben genannten Internetforum die passenden Worte verliehen: "Die Haltung, Zuhörer/Innen für dümmer zu halten als sie sind, geht mir gehörig und zunehmend auf die Nerven."

Die Nerven der Programmverantwortlichen allerdings - allen voran die Nerven des hr-Intendanten Dr. Helmut Reitze - scheinen zu abgestumpft, um diese quantitativ wie qualitativ relevante Kritik angemessen wahrzunehmen. Stattdessen wird das Engagement der Hörerinitiative als unsachliche Meinungsmache verunglimpft, der direkte Dialog mit der Interessensgemeinschaft konsequent verweigert.

Der eingangs erwähnte Bild-Artikel, um diesen Kreis zu schließen, behandelte im übrigen eine weitere bedauerliche Programmentscheidung: "late lounge" mit Michi Herl und Roberto Cappelluti wird es im kommenden Jahr nurmehr zwei- und nicht mehr fünfmal wöchentlich ins Hessenfernsehen schaffen. Es beschleicht einen der Verdacht, dass es beim Hessischen Rundfunk vor allem jenen Sendeformaten an den Kragen geht, die sich mit einem eigenständigen, autonomen Profil in einem ansonsten immer einfältiger werdenden Programmangebot etabliert hatten...

Clemens Niedenthal

Plattform zum Einmischen und Aktiv werden unter:
www.rettet-der-tag.de
www.rettet-schwarz-weiss.de