30 Jahre und kein bisschen leiser
Zur Silvesterparty 1976/77 öffnete das KFZ seine Tore. Mit
der diesjährigen Silvesterparty wird das KFZ also 30 Jahre
alt. Wir nutzen diesen Platz für einen Blick zurück:
Wichtig war es damals vor 30 Jahren, einem neuen Lebensgefühl
und neuen kulturellen Strömungen einen Ort und Ausdruck zu
geben. Nachdem Willy Brandt mit "Mehr Demokratie wagen"
seine Politik zusammenfasste, wurde er durch Helmut Schmidt ersetzt.
Das Zitat von Schmidt: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt"
zeigt deutlich, wie stark gesellschaftliche Utopien inzwischen abgeschliffen
waren. Dennoch gab es in der damaligen Linken einen kulturellen
Aufbruch, der nicht mehr nur die Verbrechen der USA im Vietcong
thematisierte, sondern der das eigene Leben in die Betrachtung mit
einbezog. Hierzu gehörten die Fragen was man isst und trinkt,
wie man heizt und kocht (Ökologie), wie man lebt und liebt
(Schwule/Lesben), wie Frau gebärt (sanfte und Hausgeburt),
usw. Die "Neue Soziale Bewegung" formierte sich und fand
vielerlei Betätigungsfelder, das Leben neu zu gestalten.
Die Unwirtlichkeit der Städte wurde konstatiert, allenthalben
Orte der Kommunikation gesucht und mit viel Engagement auch
gegen die damaligen Stadtväter eingerichtet. So finden sich
im KFZ-Programm die Debatten der damaligen Alternativszene in Veranstaltungstiteln
wieder: Alternatives Leben; WG und Kinder; TAZ Initiative Marburg;
Freie Schulen; Schwulenfeten; Frauenfeten; jede Menge Konzerte des
Folk Club Marburg, der im Gegensatz zur Musikindustrie immer auf
der Suche nach ursprünglicher Volksmusik war und ist. In den
ersten Jahren prägen so illustre Namen wie Klaus Theweleit,
Bernhard Lassahn, Erfinder des Käpt'n Blaubär, Walter
Mossmann oder Hans Dieter Hüsch, die drei Tornados und Eckhard
Henscheid das Programm des KFZ.
Für Marburg war mit der Eröffnung des KFZ erstmals ein
größerer Raum für die Debatten der undogmatischen
Linken geschaffen, die sich sehr stark von den marxistisch-leninistischen,
oft studentischen Gruppierungen unterschied. Im KFZ fanden die Debatten
um die Startbahn-West statt, um Hausbesetzungen in Marburg, den
Stromzahlungs- und den Volkszählungsboykott. Die Vorbereitungen
von vielen Demonstrationen gegen AKWs wurde durch die im Hause tagende
"Bürgerinitiative gegen Atomanlagen Marburg" organisiert.
Von Anbeginn war das KFZ auf Vernetzung angelegt, und so
wurden hier die Ideen ausgeheckt, die zum Umweltladen Marburg, zu
pro familia und zu heute so bekannten Firmen wie z.B. Wagner &
Co geführt haben. Die ersten Food Cooperativen tauschten hier
ihre Bio-Waren aus, bis die ersten Bioläden entstanden. Das
KFZ bot die räumliche Plattform für viele Initiativen,
die später oft selber über eigene Räumlichkeiten
verfügen. Der Theaterrat zog schon Anfang der Achtziger in
das Theater neben dem Turm, das heutige G-Werk. Die Schwangerenberatung
wandelte sich zur pro familia mit eigenem Profil. Die Schwulengruppe,
die bis heute noch dem KFZ "treu" geblieben ist, schaffte
sich einen eigenen organisatorischen Rahmen in Form von Tuntonia
e.V.
Nachdem mit der Gründung der "Grünen" diese
politische Bewegung auch parlamentarisch vertreten war, gab es mit
der ersten rot-grünen Koalition Mitte der 80er Jahre in Marburg
den Beschluss, das KFZ auf das heutige bauliche Niveau auszubauen.
Dies wurde damit begründet, dass Marburg in einer studentischen
Befragung erst an 54. Stelle in der Beliebtheitsskala unter Studierenden
lag. Dennoch bedurfte es des starken politischen Einsatzes der Grünen,
um für diese Bevölkerungsgruppe ein adäquates Kulturangebot
bereitzustellen. Mit dem Umbau des KFZ war die Grundlage gelegt,
von der Sperrmüllkultur wegzukommen, andere Musikrichtungen
aus dem tontechnisch verstärkten Bereich anzubieten, das Programm
erheblich erweitern zu können.
Die bis 1987 von jedem zu bedienende Lichtanlage mit zwei Scheinwerfern
hatte ausgedient, und das KFZ entwickelte sich zu dem Anbieter von
Rockkonzerten vor allem aus dem Indie-Musikbereich. Fast allein
auf weiter Flur konnte das KFZ schon Anfang der 90er Jahre ca.
40.000 Menschen als jährliche Besucher vermelden.
Das KFZ ist zu einer Marburger Institution gewachsen, die
ihre Arbeit mit großer Programmvielfalt im Musikbereich, Kabarett,
Literatur, Politik, Theater betreibt und Offenheit für Aktivitäten
von vielen gesellschaftlichen Gruppen und engagierten Menschen bietet.
Natürlich ist das, was vor dreißig Jahren begann, und
sich oft im Sinne einer Gegenkultur etablierte, weiter in die Mitte
der Gesellschaft gerückt: So sind z.B. die Kabarettisten, die
vor 20 Jahren bei uns ihre Anfänge nahmen und mit ein paar
hundert DM Garantiegage nach Hause gingen, längst in der absoluten
Spitzenklasse des Kabaretts gelandet, wie z.B. Georg Schramm oder
Volker Pispers. Ähnliches ließe sich auch für Musikgruppen
feststellen wie z.B. "Die Sterne", die es auch schon mal
im KFZ für 5 DM zu sehen gab.
Die basisdemokratische Grundidee des Ladens lag schon den
Anfängen in 1977 zugrunde, und wir sind stolz darauf, dass
wir uns nicht zu einem Projekt reiner Mitarbeiterselbstverwaltung
zurückentwickelt haben, sondern bislang noch alle Veranstaltungen
mit unseren Ehrenamtlichen gemeinsam umsetzen. Basis- und Nutzerorientierung,
emanzipatorische Ausrichtung der Diskurse und Debatten sowie kulturelle
Offenheit stellen immer noch wichtige Kriterien für unsere
Programmauswahl dar.
Mit den bis heute insgesamt ca. 6.000 Veranstaltungen des KFZ
und mittlerweile jährlichen Umsätzen von ca. 500.000 Euro
haben wir uns zu einem kleinen Betrieb entwickelt, in dem fast 10
Menschen (mehr schlecht als recht) ihr Auskommen verdienen oder
eine Ausbildung als Veranstaltungskaufleute erhalten. Es könnte
aber besser werden: Denn wir arbeiten seit 10 Jahren daran, die
räumliche Weiterentwicklung des Zentrums voran zu bringen,
Räumlichkeiten zu vergrößern, Angebotsstrukturen
zu ändern. Dies wird hoffentlich ein baldiger Schwerpunkt kommunaler
Kulturpolitik. Oder gar ein Geburtstagsgeschenk?
Was wir uns alles einfallen lassen, um das Jubiläum zu feiern?
Lasst euch überraschen und denkt schon mal an Geburtstagsgeschenke!
Oder noch besser: beteiligt euch am
Wettbewerb "Mein KFZ"!*
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