Aufschlag oder Abschlag
oder Abwatschn oder?
Unser Festival Nacht der Stimmen, welches hoffentlich
bei gewohntem Nacht der Stimmen Wetter auf der Schlossparkbühne
stattfindet, wird dieses Jahr 2 Euro teurer. Auf den Eintrittskarten
findet ihr nun den Vorverkaufpreis von 22,- Euro und 25,- Euro an
der Abendkasse (incl. 2,- Euro Aufschlag für die Operation
Sichere Zukunft der hessischen Landesregierung).
Wie an dieser Stelle schon berichtet hat die hessische Landesregierung
mit ihrer sogenannten Operation Sichere Zukunft die
Mittel für die hessische Soziokultur um 18,5 % gekürzt,
was für uns eine Kürzung von augenblicklich 7.500,- Euro
bedeutet.
Wir wissen deshalb weder, ob wir unsere Auszubildende übernehmen
können, noch wissen wir, wie es insgesamt weitergeht, beläuft
sich das Defizit in unserem Haushalt doch im ganzen auf ca. 20.000
Euro, da andere Geldgeber im Projektbereich dieses Jahr bei der
Förderung des KFZ auch ausfallen.
Nun könnte man Verständnis dafür entwickeln, wenn
ein Landeshaushalt saniert werden muss, selber etwas dafür
zu tun. In diesem Fall fehlt uns das Verständnis, denn im Gegensatz
zu anderen Bundesländern liegt Hessen in der Förderung
der Soziokultur gemessen an den Ausgaben pro Kopf nicht gerade vorne
und einen Speckgürtel konnten wir bislang noch nicht ansetzen.
In einer Untersuchung des Instituts für Kulturpolitik wird
festgestellt, dass in Hessen pro Kopf ca. 0,06 Euro für die
Sozikultur ausgegeben wird. Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg
oder Niedersachsen geben ca. 0,30 Euro pro Jahr pro Kopf für
die Förderung der Kultur aus, die spartenübergreifend
immer mehr Menschen interessiert. Die Steigerung der Besucherzahlen
im Bereich Soziokultur belegen auch Untersuchungen der Bundesvereinigung
Soziokultureller Zentren in Zusammenarbeit mit dem statistischen
Bundesamt.
Das KFZ liegt in der Erwirtschaftung von Eigenmitteln nochmals deutlich
über dem Durchschnitt der soziokulturellen Zentren in Deutschland,
deren Eigenerwirtschaftung bei knapp 50 %, beim KFZ seit Jahren
bei ca. 66% liegt.
Nach
einer Veröffentlichung des Hessischen Ministeriums für
Wissenschaft und Kunst (Titel: Kulturland Hessen, Untertitel: Zwischen
historischem Erbe und zeitgenössischer Kunst) zu den laufenden
Ausgaben für Kunst und Kultur im Jahr 2002 (gesamt 173,4 Mio.
Euro), fließen knapp 64 % (=110,8 Mio. Euro) der Kulturausgaben
in die Förderung der drei Staatstheater in Darmstadt, Kassel
und Wiesbaden, das Stadttheater Gießen, das Landestheater
Marburg und die freie Theaterförderung, einschließlich
der städtischen Anteile von 47,74 Mio. Euro.
Die Eigenerwirtschaftungsquote der aus dem Feudalismus geerbten
Staatstheater in den ehemaligen Residenzstädten liegt bei ganz
erschreckenden, oft einstelligen Prozentzahlen.
Der Theaterförderung folgen allerdings weit abgeschlagen
die Denkmalpflege mit 29,2 Mio. Euro, die Museen mit 21,5
Mio. Euro, die Musikförderung mit 7,7 Mio. Euro und die übrigen
Bereiche mit 4,2 Mio. Euro. Zu den übrigen
gehören Film, Literatur, Soziokultur, regionale Kulturförderung,
Künstlerförderung, Hessische Kulturstiftung und internationaler
Kulturaustausch.
So weit zu der hessischen Kulturpolitik, wie sie sich in Zahlen
laut dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst
manifestiert.
Diese, auch im Schaubild abgebildeten Zahlen sind weniger einer
bewussten Kulturpolitik entsprungen, sondern entstammen eher der
Tradierung des Landes-Kulturhaushaltes.
Die Soziokultur im Lande Hessen hatte, aufgrund des Desinteresses
der Politikerinnen und Politiker in diesem Bereich Kulturpolitik
zu betreiben, schon immer einen schweren Stand. Dass man jetzt mit
den bescheidenen Mitteln auch noch Haushalte sanieren kann, ist
um so erstaunlicher.
Wenn man das übliche Politikergerede von Reformen und schmerzhaften
Einschnitten aus allen Fraktionen hört, dann kann gerade bei
der Operation Sichere Zukunft die Hessische Landesregierung
nicht von großem Reformeifer gepackt gewesen sein. Hat man
doch letztlich die großen Tanker weiter in behäbiger
Fahrt auf bekannten Routen belassen und höchstens bei den Rettungsbooten
gekürzt.
Die verbale, Fraktionsübergreifende Wertschätzung der
Soziokultur, aber die Geringschätzung bei der tatsächlichen
Förderung zeigt sich an den Kulturhaushalten. Deren Schwerpunkte
liegen ganz vorrangig in der Förderung der Staatstheater, den
Museen und der Denkmalpflege, also oft der kulturellen Vergangenheitspflege
zugewandten Institutionen, als in der Förderung der zeitgenössischen
Kunst und Kultur.
In einer multikulturellen oder interkulturellen Gesellschaft, in
der Kulturpolitik ganz stark auf den Blick zurück setzt, erscheint
dies eher kontraproduktiv für die Lösung gesellschaftlicher
Konflikte. Wo, wenn nicht im Kulturbereich, lassen sich Kommunikationsbande
knüpfen, die auf ein gemeinsames Miteinander hin arbeiten?
(In diesem Zusammenhang sind wir besonders stolz darauf für
die Nacht der Stimmen den siebenstimmigen iranischen
Frauenchor Banu & Maryam Akhondy engagiert zu haben, der iranische
Volkslieder, bearbeitet von Maryam Akhondy, singen wird).
Welche anderen Institutionen arbeiten von ihrem Konzept her daran,
möglichst viele Nutzer in die Arbeit zu integrieren, möglichst
viel an Kultur zuzulassen und auf der Bühne zu präsentieren,
außer Soziokulturelle Zentren? Gerade wenn die Soziokultur
auch statistisch belegbar die Einbeziehung von Migranten
und das Erreichen von Jugendlichen in ihrer Kulturarbeit einlöst,
wird das Tradieren von Haushalten keine Lösung für die
Zukunft darstellen.
Im Unterschied zur gesellschaftlichen Umorientierung hin zu einer
stärkeren Förderung von Eigeninitiativen und Selbsttätigkeit
fließen in Hessen die Kulturfördermittel kaum in die
Kultur, die eigenständiges und kreatives Handeln herausfordert
und eigenständige, neue Formen und Kommunikationsmöglichkeiten
menschlichen Lebens immer wieder neu austestet, sondern gerade umgekehrt
in die traditionellen Bereiche der Kultur- und Bestandspflege mit
einem oft sehr alten Publikum, die zudem oft wenig zukunftsorientiert
sind.
In diesem Sinne LandespolitikerInnen kennen zu lernen, die Reformpolitik
betreiben wollen, wäre tatsächlich mal etwas Neues!
Gero Braach
|
|
|